ALLEINE SEIN ALS PRIVILEG

Durch die Wolken geht mein Blick. Ich stehe auf einem abgelegenen grönländischen Berg, breite meine Arme aus und schreie so laut ich kann. Mein ganzer Körper vibriert – den letzen Menschen habe ich vor über zehn Tagen gesehen. Es dauert eine halbe Minute, ehe ich meinen Mund wieder schließe und meine Ohren das Echo des Schalls verfolgen können. In der Ferne sehe ich Rentiere galoppieren und über mir kreisen riesige Weißkopfadler. Mein Körper kribbelt noch immer vom Schrei und ein kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Ich sehe weiter in die Ferne und lese meine Träume. Meine Gedanken sind frei und meine Seele ist federleicht. Ich spüre das Leben.

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Allein in der grönländischen Wildnis.

Oft werde ich gefragt wie ich auf meinen Wanderungen mit der Einsamkeit und auch mit mir selbst zurechtkomme. Denn es gibt tatsächlich Menschen die sich nicht vorstellen können, wie es ist, mehrere Stunden, Tage oder sogar Wochen allein zu sein. Das Alleinsein hat in unserer Gesellschaft einen schlechten Ruf - zu Unrecht, wie ich finde. Meistens wird das Alleinsein sofort mit Einsamkeit assoziiert und viele denken dann an Einzelgänger, Isolation, Langeweile oder auch an Depression. Sucht man beispielsweise ein Synonym für das Wort Alleinsein, dann findet man überwiegend negative Begriffe wie z. B. Abkapselung, Leere, Abgeschiedenheit, Vereinsamung und Zurückgezogenheit. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Alleine zu sein tut gut und jeder kann den Raum der dabei entsteht, als ein durchweg positives Gefühl, so wie ich es während meiner Zeit in der grönländischen Wildnis erfahren durfte, erleben. Entscheidend dabei ist, dass ich mir damals die Situation des Alleinseins freiwillig ausgesucht habe und mir diese nicht von außen auferlegt wurde. Denn ich bin überzeugt, wer sich aus freien Stücken für das Alleinsein entscheidet, um zum Beispiel alleine auf einen Waldspaziergang zu gehen oder eine lange Reise anzutreten, der wird es als befreiend und wohltuend erleben. Alleinsein und Einsamkeit dürfen also nicht gleichgesetzt werden, denn der positive Effekt des Alleinseins ist unverkennbar. Doch woher rührt das allgemein negative Verständnis und das Unwohlsein des Alleinseins? Häufig ist es das Elternhaus, in dem weder die Mutter noch der Vater, mit Ruhe und Freude das Alleinsein vorgelebt haben. So haben wir gelernt, uns abzulenken und in unserem Kopf manifestieren sich Stress, Probleme, Verwirrung und die Angst vor dem, was da eventuell hochkommen würde, wenn wir alleine sind. Wer sich bewusst vor dem Alleinsein drückt der verpasst dabei etwas ganz Wesentliches. Denn wer nicht lernt, alleine zu sein und das auch zu zelebrieren, der wird auch nicht in Resonanz mit anderen Menschen gehen. Um tief in sich selbst hinein zu spüren, benötigt es Ruhe und erst dann ist man in der Lage auf sein eignes Herz und die Gefühle zu hören.

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Selbstreflextion in einsamen Landschaften.

EIN PARTNER MACHT NICHT GLÜCKLICH

Du bist der wichtigste Mensch in deinem Leben und wenn du lernst, mit dir selbst Zeit zu genießen und damit deine inneren Konflikte bereinigst, dann wirst du automatisch ein glücklicherer und stärkerer Mensch. Indem du allein bist, gewinnst du an Empathie, Selbstreflexion, Kreativität, Entschlossenheit und Mut. Du wirst dir somit keine Bestätigung mehr von außen einholen müssen, denn du weißt, dass du so, wie du bist, genug bist. Glücklich sein in seiner reinsten Form, dass bedeutet völlig nackt, ohne materielle Dinge, Partner und Zukunftsangst, mit nichts außer mit sich selbst fröhlich zu sein. Besonders auf die Partnerschaft möchte ich an dieser Stelle noch einmal näher eingehen. Viele Menschen tendieren dahin, dass sie ihr Glück einzig und allein vom Partner abhängig machen. Doch wer das tut, der beraubt sich selbst unzähliger Möglichkeiten, ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen. Der eigene Partner macht das Leben nicht glücklich, sondern er bereichert es nur. Bist du mit dir selbst alleine nicht glücklich, dann wird ein Partner dich auch nicht glücklicher machen. Wieso ist man so oft zu zweit auch meistens allein? Ist es nicht unfair, eine solch große Erwartungshaltung an den Partner zu stellen, die er ohnehin nicht erfüllen kann? Glücklich können wir schließlich nur alleine sein – der Rest ist ein Bonus, ein Extra, welches anschließend selbstständig auf uns zugeflogen kommt. Du gibst damit nicht nur deinem Partner, sondern auch deinen Mitmenschen den Raum, den sie brauchen, um sich in deiner Gegenwart völlig zu entfalten.

Es gibt unzählige weitere Situationen im Leben in denen wir mit uns allein zurechtkommen müssen. Der eigene Tod ist dafür ein prominentes Beispiel. Jeder Einzelne von uns wird diesen Weg alleine gehen müssen, und wäre es nicht schön die letzten Minuten und Sekunden im völligen Einklang mit sich selbst und ohne Angst zu erleben?

POSITIVE WIRKUNGEN

Das Alleinsein bietet ungeahntes Potenzial. Wer mit seiner Kraft am Limit ist und das Leben hinterfragt, der tut gut daran, Zeit mit sich selbst zu verbringen. Aus eigenen Erfahrungen möchte ich hier fünf positive Erkenntnisse auflisten die ich, insbesondere während meiner solo Wildniswanderungen, gelernt habe.

MUT

Es gab unzählige Momente auf meinen Wanderungen, bei denen ich gehörig die Hosen voll hatte. Ob es die Begegnungen mit wilden Tieren waren oder das gefährliche durchwaten ungezähmter Gletscherflüsse. Es sind die Erlebnisse, ob positive oder negative, die uns bereichern können und uns damit die Angst vor dem Unbekannten nehmen. Wer Mut besitzt ist entscheidungsfreudiger und weiß genau was seinem Leben guttut. Draußen in der Natur intensiviert man unumgänglich seine innere Stärke und das eigene Selbstvertrauen.

DIE EIGENE WAHRHEIT FINDEN

Mir wurde bewusst was ich brauche und was nicht, welche Faktoren Stress auslösen und was ich tun muss, um wieder zur Ruhe zu kommen. In der Stille der Natur und der daraus resultierenden Selbstreflexion erreichten meine Gedanken eine Klarheit die ich nie zuvor empfunden habe. Wir Menschen sehen die Welt nie so, wie sie eigentlich ist, sondern immer durch den Bildausschnitt den unsere Gesellschaft und unser Umfeld uns auferlegt. Deshalb ist es so wichtig, sich seine eigene Meinung zu bilden, sich selbst kennenzulernen, loszureißen und Fragen zu stellen, Fehler zu machen, um schlussendlich daran zu wachsen und seine eigene Wahrheit zu erkennen und diese auch zu leben.

INSTINKTE NEU ENTDECKEN

Die Wildnis ist die Wiege der Menschheit. Hier habe ich meine inneren Frieden und meine Zugehörigkeit gefunden. Mich in den Weiten und unberührten Gegenden dieses Planeten zu bewegen hat mich aufmerksamer werden lassen. Allein und ohne Ablenkung habe ich meine Sinne wieder entdeckt. Ich habe Augen, die beobachten, Ohren die lauschen. Ich habe Hände die ertasten, eine Nase die atmet und eine Zunge die schmeckt. Und vielleicht das Wichtigste - ein Bauchgefühl, das weiß was das Herz fühlt.

KLEINE DINGE SCHÄTZEN LERNEN

Ein kleiner plätschernder Bach. Mit Dankbarkeit den Kühlschrank öffnen. Das Lächeln deiner Mitmenschen. Ein frisches Glas Wasser. Nicht nur nass werden, sondern den Regen spüren!

ZEIT IST DAS WICHTIGSTE

Meine wichtigste Erkenntnis die ich in der Wildnis sammeln durfte? Unsere Zeit ist endlich! Ich habe gemerkt das die Hetzerei und das Streben nach einem gesellschaftlich perfekten Leben nicht das ist, was ich will und völlig unwichtig ist. Vielmehr war ich draußen mit der Spärlichkeit, die mir in der Wildnis geboten wurde, zufrieden. Der Anblick der grenzenlosen Landschaft ließ meine Augen funkeln. Ich konnte stundenlang da sitzen und die kolossale Schönheit in meinem Inneren fühlen, genießen und dabei den Zugang zu meinem Herz bahnen. Die Zeit verging nicht wie zuhause im Fluge, denn in der Abgeschiedenheit bekommt man ein neues Gefühl dafür wie viel Zeit wir wirklich auf diesem Planeten haben. Eine Woche fühlte sich nicht wie ein paar hektische Tage im Alltag an, sondern eine Woche fühlte sich an wie ein Monat, so als hätte ich ewig Zeit. Man bekommt das Gefühl, als würde sich die Zeit dehnen, so wie damals als wir Kinder waren, in dem die Sommerferien endlos erschienen. Die eigene Lebenszeit ist somit das größte Gut was wir haben und es liegt an uns, die Zeit so zu gestalten wie wir uns das tief in unserem Herzen wünschen.

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Draußen allein sein - in jeder Jahreszeit.

SOLOVERANSTALTUNG

Wann warst du das letzte Mal so richtig alleine? Nein, ich meine nicht in deiner Wohnung, in der Stadt, wo du die Nachbarn und den Straßenverkehr noch immer hören kannst, und ich meine auch nicht im eigenen Auto. Ich meine wirklich allein! Nur du und… du! Irgendwo im Wald vielleicht? Am Strand? Lass es zu und geh raus, um allein zu sein. Erstaunliche Dinge lassen sich finden, wenn niemand anderes dabei ist. Ich empfehle daher jedem, Zeit mit sich allein zu verbringen, und zwar täglich, wöchentlich, monatlich, jährlich. Fang erst einmal mit einer Stunde am Tag an. Wenn du jetzt denkst, das ist zu viel, was soll ich in dieser Zeit machen, dann bist du genau der richtige Kandidat für eine Soloveranstaltung, an der nur du allein ohne Ablenkung teilnimmst. Am Wochenende hast du für gewöhnlich etwas mehr Zeit und deswegen solltest du deine Alleinsein-Zeit auf 3-4 Stunden ausdehnen. Und einmal in zwei Monaten empfehle ich dir, sogar ein ganzes Wochenende mit dir alleine zu verbringen. Ja, und ich meine nicht zuhause, sondern in der Natur, irgendwo in einer schönen Landschaft, Zeit mit dir genießen. Schließe dabei ab und zu deine Augen und fühle in dich rein, lass deinen Träumen freien Lauf und entdecke dich selbst, denn es sind schließlich auch die Träumer, die die Welt verändern können. Alleine kannst du das fühlen was wirklich Wichtig ist, und danach fühlt man nichts als Dankbarkeit. Alleinsein ist kein Fluch, es ist ein Abenteuer.

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