DIE MACHT DER INNEREN STÄRKE

Ich stecke gerade mitten in der Vorbereitungsphase meiner anstehenden Arktis-Expedition nach Grönland. Alleine werde ich zu Fuß durch die weite arktische Tundra und die polare Fjord-Landschaft wandern. Es wird voraussichtlich mein bisher schwierigstes und anspruchsvollstes Abenteuer werden. Wenn ich mich auf eine große Expedition wie diese vorbereite, dann fragen mich die Leute, wieviel ich trainiere und wie fit man für solch eine Reise denn sein muss. Als ich vor einigen Jahren quer durch Island gewandert bin, habe ich gelernt, dass es nicht so sehr auf die körperliche Leistungsfähigkeit ankommt. Die eigentliche Herausforderung ist der eigene Kopf - die innere Stärke - die um ein vielfaches kräftiger und energetischer sein muss, als die physische Fitness. Man muss darauf vorbereitet sein, dass man sich unterwegs in der Wildnis, mit sich selbst auseinandersetzten wird. Sogar bisher unentdeckte Gedanken werden irgendwann, wenn man nur lange genug alleine in der Wildnis unterwegs ist, an die Oberfläche befördert.

MEINE GRENZERFAHRUNG IN DER KÄLTEWÜSTE

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Unterwegs im Nichts.

Das monotone Stampfen der Wanderstiefel welches ich Monate lang zu hören bekam, hatte mich damals mental zermürbt. Die Einsamkeit der weiten Tundra schlug sich auf meinen ganzen Körper nieder. Ich wusste nicht wann ich den nächsten Menschen begegnen werde oder wann die Wanderung beendet sein wird. Das leere, kalte, gähnende Nichts, hatte meinen Verstand an seine Grenzen gebracht. Während ich das Nichts sah, hatte ich Hunger, Durst, fror und war einsam. Tagelange Stürme zwangen mich in die Knie. Meine Hände waren mit Wunden übersät und mein Gesicht vom Wind gepeinigt. Und dann, immer wieder dieser Regen. Meine Füße trugen mich weiter, Meter für Meter, sie hatten noch Kraft, aber es war mein Verstand der schließlich das abrupte Signal zum Stoppen sendete. Meine Beine waren plötzlich eingefroren. Ich stützte mich auf meine Oberschenkel und fixierte den Horizont. Ich atmete schwer - schon 620 Kilometer lagen hinter mir. Der arktische Wind bäumte sich gerade kräftig auf und zwang mich, mit seiner ganzen Gewalt, zu Boden. Mein Herz pochte und ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen. Erschöpft und ausgelaugt wollte ich aufgeben und nur noch zu Hause bei meiner Familie sein. Völlig entkräftet rang ich nach Wasser. Schon seit Einunddreißig Stunden hatte ich nichts mehr getrunken. Aus meinen Augen flossen Tränen, die über meine Wangen bis in meine Mundwinkel liefen. Was zum Teufel machte ich hier in dieser menschenfeindlichen Gegend? Wo war meine Begeisterung für Island, für die Arktis und die Freude für das tiefe Erleben der Wildnis geblieben? Ich durchforsche mein Inneres nach Antworten und versuchte mich gegen den Willen meines Verstandes aufzubäumen. Es war der Kampf gegen mich selbst. Der kalte Wind der Tundra schlängelte sich um meinen Körper und drückte mich immer tiefer in den Boden hinein.

DIE TRANSFORMATION UND DIE KOSTBARKEIT

Es waren nicht die Strapazen, die mich damals niedergerissen haben. Es waren der lange Marsch, die Monotonie, die ewige Einsamkeit und die Erkenntnis völlig unbedeutend auf diesem Planeten zu sein, die mich zu einer mentalen Grenzerfahrung brachten. Die Tundra hatte mich damals aufgefressen. Überall diese Gerölllandschaft, soweit ich nur blicken konnte - es war eine leblose Weite, ich war allein, hatte nichts außer mich selbst und sehnte mich nach einem Glas Wasser.

Erstaunlicherweise transformierte sich damals meine versteinerte, reglose Haltung in ein neues Gefühl der schon lange verloren gegangen Lebendigkeit. Dass ich es doch noch irgendwie packen kann mich aufzubäumen und gegen meinen inneren Willen die Kraft habe meine Beine wieder in Bewegung zu setzten. Die Stärke die meinen Motor langsam wieder antrieb, kam von innen. Irgendetwas signalisierte mir damals das ich bereit war für das Weiterlaufen, und bereit war die Expedition zu Ende zu bringen. Mein Körper hatte Reserven und mein Verstand war nun auch wieder in der Lage sämtliche Instruktionen vom Gehirn an die Beine zu delegieren.

Ich halte an diese Erinnerungen fest, denn das starke Gefühl das ich dabei habe hilft mir, mich immer wieder zu erden und auch die Kostbarkeit des Lebens zu erkennen. Ich bin achtsamer geworden, wenn ich den Kühlschrank öffne und mir ein Glas Wasser einschenke. Das sind Dinge die in der Wildnis nicht selbstverständlich sind und eigentlich auch in unserer Welt nie werden sollten. Wasser ist nun einmal das kostbarste was wir auf unserem Planeten besitzen. Jedes Mal wenn ich ein Glas Wasser trinke lasse ich es durch meine Kehle gleiten, als wäre es ein edler Tropfen.

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Dein eigener Kopf bringt dich ans Ziel.

RAUM FÜR NEUE WAHRNEHMUNGEN

Es ist klar, dass wenn man sich auf ein großes Abenteuer einlässt, nicht immer alles Friede Freude Eierkuchen ist. Den dunkelsten Ecken des Verstandes stattet man in gewisser Regelmäßigkeit einen Besuch ab. Dabei ist es egal, ob man alleine oder mit Gefährten unterwegs ist. Es kann extrem herausfordernd sein und schnell zu einer Strapaze werden, wenn man mental nicht in der Lage ist heikel Situationen zu überstehen. Denn bevor der Körper aufgibt hat es der Geist schon lange getan. Bevor du zu einer Wildnis-Expedition aufbrichst, in der du autark auf dich selbst gestellt bist, ist es wichtig, deine eigenen mentalen Fähigkeiten zu kennen und rational einzuschätzen.

Zuletzt sind es aber auch die neuen Erfahrungen und die Lektionen der Wildnis selbst die dich mental für dein weiteres Leben stärken können. Gefühle wie Einsamkeit, Sehnsucht, Wut, Trauer, Liebe oder unverarbeitete Traumata, können draußen in der weiten wilden Welt besser verarbeitet werden. Dein Verstand wird in der Wildnis in den Verarbeitungsmodus gesetzt und deine Sinne werden geschärft. Tiefe Entspannung findest du fast völlig automatisch. Es entsteht ein Raum für neue Wahrnehmungen und du wirst emotionaler und sensibler. Dein Geist bekommt die Freiheit, sich komplett zu entfalten und die Möglichkeit den Dingen zu begegnen, die bisher immer verschlossen waren. Ein Abenteuer in der Wildnis ist auch eine Expedition in dein unbekanntes "Ich". Wohin du auch gehst, es ist sicher, du wirst als veränderter Mensch zurückkehren.

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